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Das Interview mit der Netzwerkpartnerin Dr. Steffi Nothnagel wurde anlässlich des 18. Geburtstages der familienfreund KG geführt. Hierbei wird über Diversity in verschiedenen Kontexten diskutiert. Im Rahmen des Interviews wird auch die Bedeutung von Vielfalt in der Arbeitswelt beleuchtet. Dabei geht es um die Förderung von Chancengleichheit und die Schaffung einer inklusiven Unternehmenskultur. Dr. Nothnagel betont die Wichtigkeit von Diversität für Innovation und Kreativität. Zudem wird über Maßnahmen zur Förderung von Diversity gesprochen, wie z.B. gezielte Personalentwicklung und Sensibilisierungsmaßnahmen. Insgesamt bietet das Interview einen interessanten Einblick in die Bedeutung von Vielfalt in verschiedenen Bereichen.
Steffi, wie wird »Diversity« in der Arbeitswelt heute bestimmt?
Wenn wir wissen wollen, was Diversität ist, dann können wir mit dem Bus fahren oder einen Stadtbummel machen. Wir werden vielen Menschen begegnen, die uns ähnlich sind, aber auch vielen Menschen, die anders sind oder denen wir diese Andersheit zuschreiben. Das machen wir zum Beispiel an der Kleidung, am Aussehen, an Symbolen, am Essen usw. fest. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere, nicht sichtbare Merkmale, die uns unterscheiden (können) oder die dazu führen, dass wir anders behandelt werden als andere.
Für die Bestimmung von Diversität bzw. Vielfalt im Diversity Management ist nach wie vor das Diversity-Rad von Lee Gardenswartz und Anita Rowe maßgeblich (siehe Abbildung, hier von der Charta der Vielfalt).
Die Abbildung basiert im Wesentlichen auf dem Modell von Gardenswartz und Rowe (1998). Es handelt sich um ein 4-Ebenen-Modell, d.h. Diversität bedeutet, dass wir uns nicht nur in unseren Persönlichkeiten, sondern auch in anderen (identitätsnahen) Merkmalen unterscheiden. Die Merkmale auf den weiter innen liegenden Ebenen gelten als nahezu unveränderlich. Die Position eines Merkmals sagt jedoch nichts über seine Bedeutung für Diskriminierungserfahrungen aus.
Der zweite Kreis umfasst dabei die sogenannten sieben Kerndimensionen der Vielfalt: Alter, Geschlecht und Geschlechtsidentität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft/Nationalität und soziale Herkunft. Letztere wurde erst durch die Charta der Vielfalt in das Modell mit aufgenommen. Von den sieben Kerndimensionen sind sechs seit 2006 durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützt. Damit sind Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund dieser Merkmale ausdrücklich verboten. Die soziale Herkunft gehört noch nicht zu den gesetzlich geschützten Merkmalen.
Aber auch andere Merkmale auf der äußeren und der organisationalen Ebene haben eine große Bedeutung für Ein- und Ausgrenzung am Arbeitsplatz, z.B. die Merkmale Elternschaft, Ausbildung, Einkommen, Funktion im Unternehmen etc. Alle diese Merkmale können für das Erleben von Zugehörigkeit und Ausgrenzung in einem Unternehmen bedeutsam sein und sind daher im Rahmen eines ganzheitlichen Diversity Managements zu berücksichtigen.
Steffi, welche konkreten Maßnahmen empfiehlst du Unternehmen, um eine faire und wertschätzende Unternehmenskultur zu fördern?
Die Einführung von Diversity Management ist sehr umfassend und es gibt sehr viele Maßnahmen, aber ich denke, die erste und wichtigste Maßnahme ist das Zuhören. Wenn zum Beispiel das Thema Diskriminierung in einem Unternehmen eine Rolle spielt, wovon wir in unserer Gesellschaft zunächst einmal ausgehen können, dann wird auch darüber gesprochen werden. Dann heißt es genau hinhören: Was sagen diejenigen, die da sind und was sagen diejenigen, die gehen? Das Gesagte sollte nicht sofort bewertet, sondern erst einmal gehört und ernst genommen werden. Eine weitere wichtige Maßnahme ist ein Bekenntnis der obersten Führungsebene zu Vielfalt und Inklusion – nach innen und nach außen. Schließlich ist ein Unternehmen auch eine soziale Gemeinschaft. Diese kann auch durch einen fairen und wertschätzenden Dialog über herausfordernde Themen gestärkt werden.
Welche Herausforderungen siehst du aktuell in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter im Berufsleben und wie können diese überwunden werden?
Ob als Führungskraft oder mitarbeitende Person: Unser Verhalten im Berufsleben ist eng mit unserer Sozialisation und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verknüpft. Deshalb lohnt es sich, hier auch auf die gesellschaftliche Ebene zu schauen. Hier sehe ich große Herausforderungen im Bildungssystem. Das betrifft zum Beispiel die fehlende Vielfalt in der Belegschaft von Kitas, Schulen, Hochschulen (zumindest bereichsspezifisch) sowie die fehlende Sensibilisierung der Pädagog*innen für Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Die aktive und konstruktive Auseinandersetzung mit Vielfalt und Gleichstellung mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen darf intensiviert werden, z.B. durch das Aufbrechen klassischer Rollen- und Geschlechterbilder. Darüber hinaus dürfen sich die Rahmenbedingungen für Familien u.a. in Form von ausreichend Kita-Plätzen, guter Pflege, finanzieller Unterstützung von Familien verbessern. Schließlich würde auch mehr gesellschaftliche Akzeptanz für Vielfalt, für das dritte Geschlecht, für Frauen in Führungspositionen und für das explizite Benennen und Adressieren von Frauen und diversen Personen in der Sprache helfen.
Die Herausforderungen für die Unternehmen sind ähnlich oder stehen im engen Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Herausforderungen. Getan werden könnte hier folgendes:
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- Beseitigung ungleicher Bezahlung aufgrund des Geschlechts: Das könnte z.B. durch transparente Gehaltsstrukturen gefördert werden.
- Aufwertung von Teilzeitarbeit: Teilzeitbeschäftigte dürfen als vollwertige Mitarbeitende betrachtet und Leistung darf nicht mit Arbeitszeit verwechselt werden.
- Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort: Hier gilt oft noch das Motto: Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser! Hier kann geprüft werden, ob diese Haltung für das jeweilige Aufgabenfeld tatsächlich wirkungsvoll im Sinne der Mitarbeiterbindung ist.
- Beseitigung der Diskriminierung von Frauen aufgrund einer (potenziellen) Schwangerschaft, aufgrund des Alters, aufgrund familiärer Belastungen: Frauen können selbst entscheiden, wann sie wie viel arbeiten können und wollen. Unternehmen können hier gerne unterstützend wirken, indem sie auf die konkreten Bedürfnisse der Beschäftigten eingehen.
- Und nach wie vor: Mehr Frauen in Führung!
Was sind die wichtigsten Aspekte, die Unternehmen beachten sollten, wenn sie Mitarbeiter aus dem Ausland rekrutieren und integrieren möchten?
Neben den Kenntnissen, die es braucht, um die administrativen Hürden der Fachkräfteeinwanderung zu nehmen, brauchen Unternehmen Willkommenskultur! Willkommenskultur! Willkommenskultur! Lange haben wir gehört und gelernt, dass die, die dazukommen, sich integrieren müssen. Aber das funktioniert nicht, selbst wenn wir es ernsthaft versuchen würden. Wir können unsere Identität nicht aufgeben, unsere Erfahrungen nicht verleugnen, und unser Wissen nicht vergessen, und das ist auch gut so, denn genau darin besteht in einer vielfältigen Gesellschaft nicht nur ein ethischer, sondern auch ein unternehmerischer Vorteil. Perspektivenvielfalt, Wissensvielfalt etc. sind der Schlüssel zu mehr Innovation und Kreativität, wenn wir es denn zulassen.
Gerade dieser Aspekt wird oft unterschätzt und die für viel Geld und mit viel Aufwand rekrutierten Mitarbeitenden verlassen das Unternehmen wieder. Neu eingestellte Mitarbeitende, die schnell ins Team integriert und in der Entfaltung ihrer Potenziale und Kompetenzen unterstützt werden, können sich von Anfang an wohl fühlen. Dazu braucht es Unterstützungsangebote für die Wohnungssuche, das Einleben der Angehörigen, Sprachkurse etc. Darüber hinaus müssen auch die Mitarbeitenden im Unternehmen auf die möglicherweise neue Situation vorbereitet werden. Interkulturelle Kompetenz ist dann auf allen Seiten gefragt und deshalb sollten alle die Möglichkeit erhalten, interkulturelle Kompetenz aufzubauen, denn sonst können und werden Probleme in der Zusammenarbeit aufgrund kultureller Unterschiede auftauchen. Wenn neue Mitarbeitende eine Willkommenskultur erleben, dann stärkt dies auch ihre Bindung und Zufriedenheit und letztlich auch ihre Leistungsfähigkeit. Die Willkommenskultur richtet sich am Ende natürlich nicht nur an Fachkräfte aus dem Ausland, sondern davon können natürlich alle Mitarbeitenden profitieren, sei es dass sie privat besonders belastet sind und Unterstützung/Entlastung benötigen oder aus einem anderen Bundesland zuziehen.
Wie kann interkulturelle Kompetenz in einem Unternehmen gemessen und verbessert werden?
Interkulturelle Kompetenz, also die Fähigkeit, kulturelle Unterschiede zu erkennen und produktiv damit umzugehen, kann z.B. durch Training oder Coaching gefördert werden. Dafür gibt es zum einen kulturallgemeine bzw. kultursensibilisierende Trainings, die zunächst den Fokus darauf legen, was kulturelle Identität und Zugehörigkeit ausmacht, wie sie funktionieren und welche Auswirkungen kulturelle Unterschiede auf die Kommunikation haben. Kulturallgemeine Varianten sind immer ein guter Einstieg in dieses Thema. Zusätzlich gibt es auch kulturspezifische Trainings, die vor allem relevant sind, wenn ich z.B. viele Geschäftskontakte in ein bestimmtes Land habe oder eine Mitarbeiterin dorthin entsenden möchte. Dabei werden Aspekte behandelt, die aus ‚deutscher‘ Perspektive typisch für ein spezifisches Land oder einen Kulturraum sind.
Interkulturelle Kompetenz ist eine soziale Kompetenz, die sich nicht direkt ‚messen‘ lässt. Es gibt noch keinen wissenschaftlichen Konsens im Hinblick auf die genaue Definition interkultureller Kompetenz und ihrer Komponenten. Die einzelnen Komponenten wie Offenheit, Neugier, Ambiguitätstoleranz etc. sind bereits schwer zu messen. Zwar gibt ‚Messverfahren‘ oder ‚Messinstrumente‘, aber diese sind teuer und deren Güte ist nicht wissenschaftlich belegt, da sie als kommerzielle Tool der Wissenschaft zur Überprüfung gar nicht zugänglich. Interkulturelle Kompetenz lässt sich aber mittels einer Kombination von verschiedenen Methoden einstufen, z.B. durch Interviews, Fragebögen, Beobachtungen in Übungen und Rollenspielen.
Wie sollten Unternehmen Diversity-Aspekte in ihre Karriereentwicklungsprogramme integrieren?
Das ist eine schöne Frage und gleichzeitig ein guter Ansatz! Oftmals ist es nämlich so, dass Veranstaltungen zum Thema ‚Diversity‘ besonders diejenigen Personen anziehen, die sich sowieso bereits mit dem Thema befassen bzw. dafür sensibilisiert sind. Aber bei einem mittelständigen Unternehmen von – nehmen wir einmal an – 150 Beschäftigten, gibt es noch keinen Kulturwandel, wenn von 150 Mitarbeitenden 15 Mitarbeitende einen halben Tag lang einen Diversity Workshop gemacht haben. Das wird sicherlich nicht schaden und es ist auch eine schöne Sache, aber sinnvoll ist es natürlich, einen Maßnahmenplan zu haben, der nachhaltig wirkt. Und dafür sind Karriereentwicklungsprogramme besonders geeignet, denn diese finden jeweils für bestimmte Personengruppen wiederkehrend im Unternehmen statt. Neben der Führungsebene und je nach Unternehmensgröße einer verantwortlichen Person für Vielfalt und Inklusion ist es wichtig, vor allem die Führungskräfte mit ins Boot zu holen. Deswegen würde ich hier am Führungskräfteentwicklungsprogramm ansetzen und dort einen Baustein zu ‚Vielfalt und Inklusion‘ einbinden. Thematisch sollte es dabei dann um den Nutzen von Vielfalt für das Unternehmen gehen sowie darum, wie diverse Teams geführt werden können und welche Fallstricke es dabei gibt. In der Praxis zeigt sich, dass die Akzeptanz des Themas groß ist, wenn es in den Gruppen bereits eine Vertrauensbasis gibt und offen über Ängste und alle Perspektiven gesprochen werden kann. Das Thema sollte also erst im Verlauf des FK-Entwicklungsprogramms stattfinden.
Wie kann Diversity als strategischer Vorteil in der Unternehmensplanung genutzt werden?
Durch Diversity Management kann ich strategisch eine Vielzahl an Vorteilen in verschiedenen unternehmerischen Handlungsfeldern nutzen, z.B. bei der:
- Fachkräftesicherung: Mit einer fairen und wertschätzenden Unternehmenskultur schaffe ich die Grundlage dafür, dass Mitarbeitende in meinem Unternehmen arbeiten möchten, bleiben und sich mit meinem Unternehmen identifizieren. Außerdem nehme ich mit der Diversity-Brille viel mehr potenzielle Arbeitskräfte in den Blick, weil ich nicht von vorneherein Personen – aufgrund der ‚Passung‘ oder dem ‚Bauchgefühl – aussortiere.
- Kundenorientierung: Außerdem kann ich neue Zielgruppen bei der Produktentwicklung und im Marketing gezielt in den Blick nehmen, weil ich Mitarbeitende habe, die die Bedürfnisse von beispielsweise berufstätigen Frauen, oder älteren Menschen oder Personen muslimischen Glaubens kennen und verstehen.
- Stärkung des Employer Branding: Mit einem diversitätssensiblen Marketing kann ich eine Arbeitgebermarke aufbauen, die eine breite Zielgruppe an Bewerber*innen anspricht.
- Bessere Entscheidungsfindung: Diverse Teams können eine breitere Palette von Informationen und Meinungen einbringen, was zu fundierteren Entscheidungen führen kann. Verschiedene Blickwinkel können blinde Flecken vermeiden und die Qualität der Entscheidungsfindung verbessern.
- Rechtliche und ethische Compliance: Diversity Management hilft Unternehmen, rechtliche Anforderungen im Hinblick auf Gleichbehandlung und Diskriminierung zu erfüllen. Dies minimiert das Risiko von Rechtsstreitigkeiten und fördert eine ethisch verantwortliche Unternehmenskultur.
Los geht’s!
Wie stellst du dir die ideale Zukunft der Arbeitswelt vor, insbesondere im Hinblick auf Diversity und Inklusion?
In dieser Zukunft ist es nicht mehr relevant, ob ich eine Frau, ein Mann oder divers bin. Wir müssen keinen Angst mehr haben, wenn wir von außen zugeschriebene Rollenbilder nicht erfüllen wollen/können. Die sexuelle Orientierung, Herkunft, das Äußere etc. führt nicht mehr zu Diskriminierung, Benachteiligung oder gar Gewalt. Kinder gehen gerne in die Schule und Erwachsene gerne auf Arbeit, weil sie dort als Mensch, als Individuum gesehen werden, das in jedem Falle wertvoll ist und seinen Beitrag leisten kann. Es wird auf Kompetenzen und Potenziale geschaut,
Wer ist Dr. Steffi Nothnagel?
Dr. Steffi Nothnagel ist Diversity Beraterin, Trainerin und Gründerin von Divcono. Sie berät Unternehmen, die sich mit dem Thema Diversity Management beschäftigen und unterstützt hier bei der Analyse des Status Quo, der Bedarfsklärung, der Strategieentwicklung und der Implementierung eines diversitätssensiblen Personalmanagements. Darüber hinaus bietet sie verschiedene Weiterbildungsformate wie Trainings, Workshops und Vorträge zu folgenden Themen an: Diversity & Inklusion, Interkulturelle Kommunikation, Kompetenz und Sensibilisierung, Unconscious Bias, Diversitätsbewusste Führung, Diverse Teams. Sie lebt in Leipzig und arbeitet für Unternehmen in ganz Deutschland.