Arbeitszeiten: Flexibilisierung nicht immer im Interesse der Beschäftigten

Die Arbeitszeiten in Deutschland sind kürzer, heterogener und flexibler geworden – nicht immer zum Wohle der Beschäftigten. Damit deren Interessen nicht unter die Räder geraten, ist gesetzliche und tarifliche Gestaltung nötig. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Arbeitszeit-Report des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.

Ein typischer Arbeitstag

Um 9 zur Arbeit, um 12 Mittag, um 17 Uhr Feierabend – so sieht nach gängigen Vorstellungen ein typischer Arbeitstag aus. Doch das Standard- droht zum Auslaufmodell zu werden: Immer mehr Beschäftigte, vor allem Frauen, arbeiten laut einer Untersuchung des WSI in Teilzeit, im Schichtdienst oder auf Abruf. Dr. Nadine Absenger, Dr. Elke Ahlers, Dr. Reinhard Bispinck, Prof. Dr. Alfred Kleinknecht, Dr. Christina Klenner, Dr. Yvonne Lott, Dr. Toralf Pusch und Dr. Hartmut Seifert haben sich auf Basis eigener Forschungen und Datenanalysen sowie einer Auswertung der Forschungsliteratur mit Tendenzen der Entwicklung von Arbeitszeiten in Deutschland beschäftigt. Ihrer Analyse zufolge haben kürzere Arbeitszeiten in der Vergangenheit dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu sichern. Die gleichzeitige Flexibilisierung wirke durchaus ambivalent: Einerseits hat sie etwa in der Wirtschaftskrise über Arbeitszeitkonten den Erhalt von Beschäftigung ermöglicht, andererseits hat sie teilweise zu prekärer Beschäftigung, mehr Leistungsdruck und zur Aufhebung der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben geführt.

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Eine moderne Arbeitszeitpolitik, so die Autoren, sollte geschlechtergerechte und selbstbestimmte Arbeitszeiten fördern und Regelungen durchsetzen, die von Anforderungen des Arbeitgebers nicht einfach unterlaufen werden können. Ein Bündnis der wichtigen Akteure der Arbeitszeitpolitik wie Tarifparteien, Gesetzgeber, betriebliche Interessenvertretungen und Personalleitungen könnte die Durchsetzungschancen einer solchen Politik erhöhen.

Widersprüchliche Trends

Betrachte man, wie sich die Dauer der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit entwickelt hat, dann zeige sich „ein fragmentiertes und in mehrfacher Weise polarisiertes Muster“, schreiben die WSI-Forscher. Dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit zwischen 1992 und 2012 von 38,1 auf 35,5 Stunden gesunken ist, habe vor allem mit der fast verdoppelten Teilzeitquote zu tun, die mittlerweile 27 Prozent beträgt. In erster Linie seien Frauen von dieser Entwicklung betroffen. Vollzeitbeschäftigte arbeiten mit 41,9 Stunden pro Woche annähernd genauso lange wie vor zwanzig Jahren. Dabei unterliegt die Lage der Arbeitszeiten einem erkennbaren Wandel: „Die einschichtige Normalarbeitszeit an den Tagen Montag bis Freitag erodiert, die Arbeitszeit dringt immer häufiger in das Wochenende hinein“, stellen die Wissenschaftler fest. Über die Hälfte aller Beschäftigten arbeite zumindest hin und wieder nachts, im Schichtsystem oder am Wochenende.

Die tarifliche Jahresarbeitszeit – das Ergebnis der ausgehandelten Wochenarbeitszeit und der Urlaubsansprüche – ging der WSI-Studie zufolge seit Mitte der 1980er-Jahre erkennbar zurück und stagniert seit Ende der 1990er-Jahre bei knapp 1.660 Stunden. Parallel zur tariflichen Arbeitszeitverkürzung fand eine schrittweise Flexibilisierung statt. Mittlerweile gebe es „über alle Wirtschaftszweige hinweg ein kaum noch zu steigerndes Maß an flexiblen Anpassungsmöglichkeiten an betriebliche Produktions- und Arbeitserfordernisse“, so die Autoren. Etliche Tarifverträge böten den Arbeitgebern Spielraum für Abweichungen von den vereinbarten Arbeitszeiten im Rahmen eines Korridors, befristete Kurzarbeit, saisonal unterschiedliche Arbeitszeit, Arbeit am Wochenende oder im Schichtdienst. Dagegen sei es bisher nur begrenzt gelungen, auch die Arbeitszeitinteressen der Beschäftigten tariflich stärker zu verankern. Zwar gebe es durchaus fortschrittliche Ansätze, etwa für verbesserte Teilzeitregelungen oder Freistellungsansprüche in besonderen sozialen Situationen. Allerdings fänden sich solche Regelungen nur in wenigen Branchen. Zudem seien die Arbeitnehmerrechte oft durch Ausnahmebestimmungen und die Berücksichtigung betrieblicher Belange eng begrenzt.

Stabile Beschäftigung dank kürzerer Arbeitszeit:

Trotz der Abnahme der durchschnittlichen Arbeitszeitdauer lag laut der WSI-Studie das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen 2012 in etwa auf dem Niveau von 1995. Der Grund: Die Zahl der Erwerbstätigen ist in diesem Zeitraum von 37,7 auf 41,6 Millionen gestiegen. Die Beschäftigungsexpansion sei also wesentlich auf Arbeitsumverteilung zurückzuführen, folgern die Experten. Insbesondere wenn man berücksichtige, dass das Arbeitsangebot durch die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen und durch Einwanderung deutlich größer geworden ist, bleibe die Verkürzung der durchschnittlichen Arbeitszeit die einzige Erklärung für den Rückgang der Arbeitslosigkeit. Kritisch betrachten die Wissenschaftler, dass dieser Erfolg auch durch eine Fortschreibung der Geschlechterungleichheit bei den Arbeitszeiten erkauft wurde. Wie entscheidend Arbeitszeitpolitik sein könne, habe ansonsten auch die Wirtschafts- und Finanzkrise gezeigt: Größere Beschäftigungseinbrüche seien durch den Abbau von Guthaben auf Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit verhindert worden – ein positiver Aspekt kontrollierter Flexibilisierung.

Stress durch Leistungspolitik:

Auf betrieblicher Ebene beobachten die WSI-Experten zunehmenden Leistungsdruck. Laut dem DGB-Index Gute Arbeit haben mittlerweile 60 Prozent der Beschäftigten den Eindruck, dass sie immer mehr Arbeit in der gleichen Zeit schaffen müssen. Fast ein Viertel ist außerhalb der normalen Arbeitszeit telefonisch oder per E-Mail erreichbar. Infolgedessen kommt es bei 37 Prozent dieser Beschäftigten zu unbezahlter Mehrarbeit. Verschärft werde diese Entwicklung durch den Trend zu ergebnisorientierten Formen der Leistungssteuerung wie Umsatzvorgaben, kennziffernorientierten Zielvereinbarungen oder Projektarbeit. Nach Ansicht der Forscher führen solche Arrangements zu einer „Intensivierung und Extensivierung der Arbeitszeit“. So berichten 37 Prozent der Teilnehmer der WSI-Betriebsrätebefragung, dass ihre Kollegen zum Teil länger als zehn Stunden am Tag arbeiten müssen. Wenn Zielvorgaben zum Einsatz kommen, sind es 47 Prozent. Dass Arbeitnehmer Regelungen zum Schutz ihrer Gesundheit unterlaufen, passiert in 34 Prozent der Betriebe ohne und in 41 Prozent der Betriebe mit Zielvereinbarungen. In einem Viertel dieser Betriebe kommt es vor, dass Beschäftigte krank zur Arbeit kommen, bei den übrigen sind es 22 Prozent.

Arbeit auf Abruf:

Zu den besonders problematischen Auswüchsen der zunehmenden Flexibilisierung gehört der Analyse des WSI zufolge die sogenannte Arbeit auf Abruf. Sie liegt vor, wenn Beschäftigte ihre Arbeitsleistung entsprechend dem betrieblichen Bedarf zu erbringen haben. Mittlerweile nutzen 8 Prozent der Betriebe in Deutschland Arbeit auf Abruf, von allen abhängig Beschäftigten sind 5,4 Prozent betroffen. Die Forscher kritisieren, dass entsprechende Vereinbarungen zwar maximale Flexibilität für den Arbeitgeber böten, allerdings höchst prekär für die Beschäftigten seien. Das wirtschaftliche Risiko werde komplett auf sie verlagert. Weil sie nicht wüssten, wann und ob sie arbeiten müssen, könnten sie weder ihre Freizeit sinnvoll planen noch einem zusätzlichen Job nachgehen – obwohl die Arbeit auf Abruf in der Regel kein existenzsicherndes Einkommen einbringt. Solange keine gesetzliche Änderung in Sicht ist, empfehlen die Autoren Betriebsräten und Gewerkschaften, sich so weit wie möglich für eine Begrenzung dieser Beschäftigungsform einzusetzen.

Geschlechterungleichheit wächst:

Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der weiblichen Beschäftigten ging nach den Berechnungen des WSI zwischen 1992 und 2012 von 34 auf 30,5 Stunden zurück, die der männlichen von 41,8 auf 39,8. Dabei spielt Teilzeitarbeit die entscheidende Rolle. Infolgedessen vergrößerte sich die Arbeitszeitkluft zwischen Frauen und Männern von 7,8 auf 9 Stunden. Diese Differenz sei eine der größten in Europa, so die WSI-Forscher. Problematisch sei das vor allem deshalb, weil Arbeitszeiten zusammen mit dem Lohnniveau darüber bestimmen, ob Beschäftigte von ihrer Erwerbstätigkeit leben können und ob sie bei Krankheit, Arbeitslosigkeit oder im Alter ausreichend abgesichert sind. Die Wissenschaftler empfehlen mehr Anreize für eine gerechte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, beispielsweise die Förderung einer subventionierten „Familienarbeitszeit“. Darüber hinaus gelte es, die Zeitsouveränität der Beschäftigten zu erweitern, etwa durch ein Recht für Teilzeitbeschäftigte auf Rückkehr zur Vollzeit oder einen Anspruch auf flexible Verteilung der Arbeitszeit. Dagegen sollten Fehlanreize wie das Ehegatten-Splitting oder die abgaberechtliche Privilegierung von Minijobs beseitigt werden. Wichtig sind aus Sicht der Forscher überdies Arbeitszeitoptionen, die sich an den wechselnden Bedürfnissen im Lebenslauf orientieren.

Download des Arbeitszeit-Report 2014

 Arbeitszeiten in Deutschland: Entwicklungstendenzen und Herausforderungen für eine moderne Arbeitszeitpolitik

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